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"Ein Gedicht ist ein festgehaltener Moment" von Matthias Weser

Zum Welttag der Poesie am 21. März 2023: 
„Ich schenke dir ein Gedicht“

Manche Gedichte

Manche wollen erst mal klingen
und sie eignen sich zum Singen.
Ein Wort, das vorher einfach schwieg,
kommt in Schwung und wird Musik.
Manche sind zum Ganz-laut-Lachen
und Verrückte-Sachen-Machen.
Manche sind ein lieber Gast,
wenn du mal Geburtstag hast.
Manche sind so knall und kurz
wie ein schneller Hühnerfurz.
Manche bringen dich zum Schlafen,
warm wie Wolle von den Schafen.
Manche haben Rätselmacken,
die musst du wie Nüsse knacken.
Manche finden ihre Größe
als beherzte Denkanstöße.
Manche lesen sich gut vor,
findest du für sie ein Ohr.
Manche ham nur diesen Sinn,
führen dich zum Lauschen hin.
Manche pfeifen auf das Brave
in der Krixli-Kraxli-Sprache.
Die war vorher noch nicht da,
ist mindestens aus Afrika.
Manche sind für wenn-es-schneit,
für die Winterweihnachtszeit.
Manche sind ein Morgenkracher
und beliebter Muntermacher.
Manchmal, wenn du traurig bist,
wenn’s so ist, wie es halt ist,
kommt dir ein Gedicht sehr nah,
ist zum Trösten für dich da.
Manche führn dich zur Genüge
ein in deine Atemzüge.
Atme ein und atme aus,
in dir selbst bist du zu Haus.
Und bei manchen sagst du:
»Huch, das ist ja ein Zauberspruch!«
Manche musst du extra sichten,
die erzählen dir Geschichten.

(Fredrick Vahle aus:  Ich und du und der Drache Fu)

oder jenes  

(„nimm beide“!)

Im Anfang war das Wort

Das allererste Wort war Nein.
Es kann ja gar nicht anders sein.
Das Ja lässt alles, wie es war,
doch Nein schafft Neues wunderbar.
Das allerzweite Wort war Du,
und dann kam erst das Ich dazu.
Ich ohne Du gibt keinen Sinn,
denn Du erst zeigst mir, wer Ich bin.
Vom dritten weiß man’s nicht genau,
vielleicht war’s Himmel oder Frau,
Glück, Liebe oder Apfelbaum,
vielleicht vergehen oder Traum.

(Martin Auer aus: Wo kommen die Worte her? Neue Gedichte für Kinder und Erwachsene)

Mehr als alles hüte dein Herz; denn von ihm geht das Leben aus.

ODER

Mehr als auf alles andere achte auf deine Gedanken, denn sie entscheiden über dein Leben.
Sprüche 4,23 (nach Einheitsübersetzung 2016 oder Gute Nachricht Bibel 2018)

Manchmal spricht ein Baum durch das Fenster mir Mut zu.
Manchmalleuchtet ein Buch als Stern  auf meinen Himmel.
Manchmal ein Mensch, den ich nicht kenne, der meine Worte erkennt.

Hilde Domin

Ich habe die Überzeugung gewonnen,
dass Kinder das beste und klügste Publikum sind,
das man sich als Geschichtenerzähler nur wünschen kann.
Kinder sind strenge, unbestechliche Kritiker.

Otfried Preußler

Ein schönes Buch ist wie ein Schmetterling.
Leicht liegt es in der Hand,
entführt uns von einer Blüte zur nächsten und lässt den Himmel ahnen. 

Lao-Tse

Zum Welttag der Poesie am 21. März 2023: 

„Ich schenke dir ein Gedicht“

Jeder wünscht sich jeden Morgen
irgendetwas - je nachdem.
Jeder hat seit jeher Sorgen,
jeder jeweils sein Problem.

Jeder jagt nicht jede Beute.
Jeder tut nicht jede Pflicht.
Jemand freut sich jetzt und heute.
Jemand anders freut sich nicht.

Jemand lebt von seiner Feder.
Jemand anders lebt als Dieb.
Jedenfalls hat aber jeder
jeweils irgendjemand lieb.

Jeder Garten ist nicht Eden.
Jedes Glas ist nicht voll Wein.
Jeder aber kann für jeden
jederzeit ein Engel sein.

Ja, je lieber und je länger
jeder jedem jederzeit
jedes Glück wünscht, umso enger
leben wir in Ewigkeit.

James Krüss (Gedicht für jeden Tag im Jahr)

∼ Er ist‘s ∼
Frühling lässt sein blaues Band
wieder flattern durch die Lüfte;
süße, wohlbekannte Düfte
streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon,
wollen balde kommen.
– Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist‘s!
Dich hab ich vernommen!


Eduard Mörike (1804 – 1875)

Welch ein Buch!
Groß und weit wie die Welt,
wurzelnd in die Abgründe der Schöpfung und
hinaufragend in die blauen Geheimnisse des Himmels ...
Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, 
Verheißung und Erfüllung, Geburt und Tod,
das ganze Drama der Menschheit,
alles ist in diesem Buche.
Es ist das Buch der Bücher, Biblia. 

Heinrich Heine, 1797 - 1856

Existenzgrad null

Das Müllen ist 
Des Menschen Lust

Schon steigt der Müll 
Uns bis zur Brust

Meer Erde Luft 
Ach sind vermüllt 

Atommüll noch
Die Enkel killt-

Müllenium 
Müllenium 

So müllen wir 
Einander um

Kurt Marti, schweizer Theologe

einfach

essen wenn hungrig   -   weinen wenn traurig
küssen wenn Liebe   -   schlafen wenn müde
Fantasie wenn langweilig   -   lachen wenn lustig
gehen wenn ruhig   -   fragen wenn ratlos
vertrauen wenn neblig   -   sein wenn leben

Susanne Niemeyer

Wer es könnte
die Welt hochwerfen
dass der Wind hindurchfährt.

Hilde Domin

Bitte bewahren Sie (       ) sich & andere & (       ) Sie schützen
(       ) alle (       ) Menschen (       ) zur (       ) Zeit.

Amanda Gorman

die vielen buchstaben die nicht aus ihren wörtern können
die vielen wörter die nicht aus ihren sätzen können
die vielen sätze die nicht aus ihren texten können
die vielen texte die nicht aus ihren büchern können
die vielen bücher mit dem staub drauf
die gute putzfrau mit dem staubwede
l

Ernst Jandl

Erst wenn die Macht der Liebe
die Liebe zur Macht übersteigt,
wird die Welt endlich wissen,
was Frieden heißt.

Jimi Hendrix

Im Neuen Jahr
Grüße ich Meine nahen
und Die fremden Freunde 
Grüße die Geliebten Toten
Grüße alle Einsamen
Grüße die Künstler 
Die mit Worten Bildern Tönen 
Mich beglücken
Grüße die Verschollenen Engel
Grüße mich selber
Mit dem Zuruf 
Mut

Rose Ausländer

Ich bin ein Sucher
Eines Weges
Der breiter ist
Als ich. 

Nicht zu schmal.
Kein Ein-Mann-Weg.
Aber auch keine
Staubige, tausendmal
überlaufene Bahn. 

Ich bin ein Sucher
Eines Weges.
Sucher eines Weges
Für mehr
Als mich.

Günter Kunert

 

Einladung
Auf dem Tisch 
Äpfel und Wein
Blumen zerbrechliche Farben

Du bist eingeladen
Ich wohne im Haus
Nummer Null

Den Duft malte Monet
Äpfel gereift bei Cezanne
Den Wein brachte die Flaschenpost

Ich wiederhole
Du bist herzlich
Eingeladen

(Rose Ausländer)

 

Wer es könnte
Wer es könnte
die Welt
hochwerfen 
dass der Wind
hindurchfährt

(Hilde Domin)

 

Für Hilde Domin

So
gerne beginne ich ein Gedicht
mit einem
So
als wüsste ich wie
man die Welt hochwirft
So 
dass der Wind dazwischenfährt 
und die Scheiben putzt
So
dass der runde Mond durch
scheint in alle Ecken
des Gedichts und die Wörter aufdeckt
Motten und Fledermaus wachgeschreckt
schwirren jäh in sein Licht
So
dass die Glocken läuten
zwischen den Zeilen
und ich schwing das Seil

(Ulla Hahn)

 

Zeitungsinserat

Die verehrlichen Jungen, welche heuer
meine Äpfel und Birnen zu stehlen gedenken,
ersuche ich höflichst, bei diesem Vergnügen
womöglich insoweit sich zu beschränken,
dass die daneben auf den Beeten
mir die Wurzeln und Erbsen nicht zertreten.

(Theodor Storm)

 

Drei Gedichte von Manfred Sestendrup – zusammengehörend –

vom gewicht des wortes
nichts leichter als ein letztes wort
nichts leichter als verletzen
nichts schwerer als dann
das erste wort

 

tagewerk tagepflicht
oft sind wir am ende
des tages geschafft
von dem was wir geschafft haben
müssten

 

sich zur ruhe begeben
das kissen und die gedanken aufschütteln
sich in die verklärung des tages retten
und die welt fest im griff haben
wie den zipfel vom kopfkissen

 

„Gesetzt den Fall, ihr habt ein Schaf gekränkt –
(„Gesetzt den Fall“ heißt „Nehmen wir mal an“) –
setzt den Fall, es hat den Kopf gesenkt
und ist euch böse – ja, was dann?

Dann solltet ihr dem Schaf was Liebes sagen,
ihr könnt ihm auch dabei den Rücken streicheln,
ihr dürft nicht „Na, Warum so sauer?“  fragen,
ihr müsst dem Schaf mit Freundlichkeiten schmeicheln.

Sagt mir jetzt nicht: „Ich wohn doch in der Stadt,
wo soll ich da um Himmelswillen Schafe kränken?“
Ich gebe zu, dass das was für sich hat,
doch bitte ich euch trotzdem zu bedenken:
Ein gutes Wort ist nie verschenkt,
nicht nur bei Schafen, sondern überall.
Auch trefft ihr Schafe öfter, als ihr denkt.
Nicht nur auf Wiesen. Und nicht nur im Stall.
(Na, wo denn noch?)

(Robert Gernhardt)

 

Die Made

Hinter eines Baumes Rinde
wohnt die Made mit dem Kinde.
Sie ist Witwe, denn der Gatte,
den sie hatte, fiel vom Blatte.
Diente so auf diese Weise
einer Ameise als Speise.

Eines Morgens sprach die Made:
Liebes Kind, ich sehe grade,
drüben gibt es frischen Kohl,
den ich hol. So leb denn wohl.
Halt! Noch eins, denk, was geschah,
geh nicht aus. Denk an Papa!

Also sprach sie und entwich –
Made Junior jedoch schlich
hinterdrein und das war schlecht,
denn schon kam ein bunter Specht
und verschlang die kleine fade
Made ohne Gnade. – Schade.

Hinter eines Baumes Rinde
ruft die Made nach dem Kinde.

(Heinz Erhardt)

 

Die Ameisen

In Hamburg lebten zwei Ameisen,
die wollten nach Australien reisen.
Bei Altona auf der Chaussee
da taten ihnen die Beine weh,
und da verzichteten sie weise
dann auf den letzten Teil der Reise.
So will man oft und kann doch nicht
und leistet dann recht gern Verzicht. 

(Joachim Ringelnatz)

 

Lass mich alle Fesseln sprengen, die selbst ich hab mir angelegt.
Lass mich zur wahren Freiheit drängen, erkennen, was mein Herz bewegt.
Durchbrech ich nicht die eigenen Mauern, entflieh ich nicht des Egos Macht,
so werd mein Dasein ich bedauern, von hundert Zwängen nur belacht.
Schenk mir Flügel, lass mich fliegen, lass mich durchbrechen Raum und Zeit,
auf dass der Geist die Schwermut wird besiegen und ich mich öffne himmelweit.“

(Petra Lienemann)

 

Dennoch, Himmel, immer mir nur
Dieses Eine mir: für das Lied
Jedes freien Vogels im Blau
Eine Seele, die mit ihm zieht,
Nur für jeden kärglichen Strahl
Meinen farbig schillernden Saum,
Jeder warmen Hand meinen Druck,
Und für jedes Glück meinen Traum.

(aus IM GRASE von Annette von Droste-Hülshoff)

 

Ich bin der Weg.

Ich ziele wie ein Pfeil auf die Ferne,
aber in der Ferne bin ich weg.

Wenn du mir folgst, 
hierhin, dorthin, hierher,
findest du hin, wie aud immer.

Weg ist weg.

(Cees Nooteboom)

Ein Buch ist wie ein Garten,
den man in der Tasche trägt. 

(Sprichwort aus Arabien)

Man ist ja von Natur kein Engel,
vielmehr ein Welt- und Menschenkind.
Und ringsherum ist ein Gedrängel
von solchen, die dasselbe sind.

(Wilhelm Busch)

 

Das Lesen, Kinder, macht Vergnügen
vorausgesetzt, dass man es kann.
In Straßenbahnen und in Zügen,
und auch zu Haus liest jedermann.

Wer lesen kann und Bücher hat,
ist nie allein in Dorf und Stadt.
Ein Buch, das uns gefällt,
hilft weiter durch die Welt.

(James Krüss)

UND DOCH IST WUNDER DIESE GANZE WELT!
UND NICHTS IN IHR IST EINFACH UND GEWÖHNLICH:
DENN DEINE WELT UND MEINE - STEHT UND FÄLLT
MIT DIR, MIT MIR: SIE IST DURCHAUS PERSÖNLICH.

(Christian Morgenstern)

Ein Mensch erhofft sich fromm und still,
dass er einst das kriegt, was er will;
bis er dann doch dem Wahn erliegt
und schließlich das will, was er kriegt.

(Eugen Roth)